Titelthema
„Es gilt, das richtige Einkaufserlebnis für die jeweilige Zielgruppe zu schaffen“
INTERVIEW Stefan Genth, HDE-Hauptgeschäftsführer, erläutert, warum der Einzelhandel trotz schwieriger Rahmenbedingungen und verhaltener Konsumstimmung zuversichtlich auf die bevorstehende Weihnachtszeit blickt. Von der Politik fordert er vor allem Entlastung bei der überbordenden Bürokratie. Er ist überzeugt, dass Händlerinnen und Händler mit einer besonderen Laden- oder Schaufenstergestaltung herausstechen und ihre Kundschaft immer wieder mit attraktivem Sortiment, gutem Service und auch mit digitalen Angeboten überzeugen können.
Herr Genth, das Weihnachtsgeschäft ist der Hauptumsatzbringer für den Einzelhandel. Mit welchen Erwartungen blicken Ihre Mitglieder auf die kommenden gut acht Wochen?
Für viele Händlerinnen und Händler ist das Weihnachtsgeschäft traditionell die umsatzstärkste Zeit des Jahres. Über alle Branchen hinweg generiert der Einzelhandel in den Monaten November und Dezember knapp zwanzig Prozent des Jahresumsatzes. Im Schmuck-, Buch-, Spielwaren- und Elektronikhandel ist der Anteil sogar noch größer, hier macht das Weihnachtsgeschäft fast ein Viertel des Jahresumsatzes aus. Die Adventswochen und der Jahreswechsel sind daher entscheidend für einen erfolgreichen Abschluss des Geschäftsjahres. In diesem Jahr sind die Rahmenbedingungen angesichts der weiterhin verhaltenen Konsumstimmung zwar schwierig. Der Einzelhandel blickt dennoch zuversichtlich auf die bevorstehende Weihnachtszeit. Schließlich hat das Weihnachtsgeschäft das Potenzial, die Konsumlaune wieder etwas in Schwung zu bringen und zum Jahresende für die so wichtigen Umsatzimpulse zu sorgen. In der Branche überwiegt daher die Vorfreude auf den weihnachtlichen Endspurt.
Vor welchen Herausforderungen steht
insbesondere der inhabergeführte
Einzelhandel?
Es sind zahlreiche Herausforderungen, vor denen Händlerinnen und Händler derzeit stehen. Die schwache Konsumstimmung der Verbraucher in Deutschland ist eine davon. Dass sich die Menschen mit dem Geldausgeben zurückhalten, bekommt der Einzelhandel wie kein anderer Wirtschaftszweig zu spüren. Auch der Fach- und Arbeitskräftemangel und die Innenstadtentwicklung fordern viele Handelsstandorte heraus und werden uns weiterhin begleiten. Einer der größten Bremsklötze für die gesamte Branche ist zudem die überbordende Bürokratie. Das macht eine HDE-Umfrage unter Handelsunternehmen sehr deutlich. Mit Blick auf die vergangenen fünf Jahre berichten
97 Prozent der Befragten von einem Zuwachs an Bürokratie. Fast zwei Drittel sehen sogar eine deutliche Erhöhung der Lasten. Unnötige bürokratische Hürden aus Berlin und Brüssel sorgen für eine erhebliche Belastung von Händlerinnen und Händlern, bremsen Innovationen aus und gefährden dadurch die Zukunftsfähigkeit vieler Unternehmen. Das muss sich ändern.
Was kann der Handel selbst dafür tun,
um als attraktiver Einkaufsort
wahrgenommen zu werden?
Wenn der Einkauf zum Erlebnis wird, verbringen die Menschen ihre Zeit gern in unseren Innenstädten und Geschäften. Händlerinnen und Händler können beispielsweise mit einer besonderen Laden- oder Schaufenstergestaltung herausstechen und ihre Kundschaft immer wieder mit attraktivem Sortiment, gutem Service und auch mit digitalen Angeboten überzeugen. Ein Patentrezept gibt es hierbei nicht, weder für die perfekte Innenstadt noch für das perfekte Ladengeschäft. Es gilt vielmehr, das richtige Einkaufserlebnis für die jeweilige Zielgruppe zu schaffen. Vielerorts gehen Händlerinnen und Händler bereits voran und stellen ihr Unternehmen für die Zukunft auf, investieren in klimagerechten und modernen Ladenbau und binden vor Ort innovative Technologien ein. Eine große Herausforderung liegt jedoch darin, dass viele Handelsunternehmen ihr Eigenkapital krisenbedingt aufgebraucht und daher keinen finanziellen Spielraum mehr haben. Es braucht also passende Rahmenbedingungen, die dem Handel Zukunftsinvestitionen ermöglichen.
Wo erwarten Sie Unterstützung
seitens der Politik — und wie könnte
diese konkret aussehen?
Der rasche und konsequente Bürokratieabbau ist eine der zentralen Aufgaben, vor denen die Politik steht. Alle sind sich seit Jahrzehnten darin einig, dass Bürokratie abgebaut werden muss. Auch die aktuelle Bundesregierung hat sich dafür eingesetzt, die bürokratische Entlastung voranzutreiben. Es waren gute Ansätze dabei, die in der Praxis bislang aber leider nicht viel bewirkt haben. An der Zeit ist es jetzt für eine echte Entbürokratisierung, die die Händlerinnen und Händler auch spüren. Vor allem im Bereich Personal sieht sich der Großteil der Handelsunternehmen mit bürokratischen Belastungen konfrontiert. Hier muss es Anstrengungen für mehr Flexibilisierung geben, etwa bei der Höchstarbeitszeit. Statt einer starren täglichen Höchstarbeitszeit sollte es eine wöchentliche Höchstarbeitszeit direkt im Arbeitsgesetz geben, darüber hinaus schlankere Lösungen bei der Arbeitszeitdokumentation. Für einen erfolgreichen Bürokratieabbau muss die Politik bei der Reduzierung der Dokumentations- und Berichtspflichten ansetzen. Wir haben aber auch noch andere wichtige Themen, wie die sichere und bezahlbare Energieversorgung für unsere Handelsunternehmen. Und um einen echten Impuls für Investitionen in unsere Innenstädte, in die Digitalisierung und den Klimaschutz zu setzen, brauchen wir mehr Planungssicherheit und steuerliche Anreize.
Was steht auf Ihrem persönlichen
Wunschzettel?
Auf meinem persönlichen Wunschzettel steht ein Mehr an Zuversicht, die richtigen und zukunftsweisenden politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu erreichen und natürlich unsere Demokratie und das Miteinander zu sichern, aber auch die geopolitischen Krisen zu meistern und den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine, mitten in Europa, zu beenden. Mehr Zuversicht, eine nachvollziehbare, verständliche Politik und ein gesellschaftliches Miteinander wären auch für die Konsumstimmung und damit den Handel positiv.
Heiko Stoll