Titelthema
Alles infrage stellen
Es war ein Plädoyer dafür und Aufforderung zugleich, aktiv Veränderungen im Unternehmen anzugehen: „Gemeinsam den Wandel gestalten – Innovationskultur im Fokus“ lautete der Titel des diesjährigen „Ostwestfälischen Innovationskongress“ (OWiKON). Der elfte seiner Art war Teil der Veranstaltungsreihe zum175-Jubiläum der IHK Ostwestfalen. Knapp 80 Unternehmerinnen und Unternehmer nahmen am Austausch in der IHK in Bielefeld teil. Und erhielten in fünf Vorträgen viel praxisnahen Input.
SANDKÖRNER IM GETRIEBE ENTFERNEN
In ihrem Impulsvortrag „Warum eine gute Innovationskultur Zukunftssicherung ist“ unterstrich die Hamburger Unternehmensberaterin Lena Lührmann, dass es für Firmen eine „aktive Entscheidungen ist, Zukunft zu planen“. Aus ihrer Erfahrung mit mittelständischen Betrieben berichtete sie, dass „Innovatoren gegen Mauern laufen“. Als typische Hindernisse nannte sie Einstellungen, die sich beispielsweise in Sätzen wie „das entscheiden wir in der nächsten Sitzung“, „das ist nicht mein Bereich“ oder „wir brauchen erst eine Analyse“, äußern würden. Um Fortschritt zu erreichen schlägt Lührmann vor, lieber „die vielen kleinen Sandkörner im Getriebe zu entfernen“, statt eine große Maßnahme umzusetzen. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Innovationskultur im Unternehmen sei das entsprechende „Mindset“, das sich ändern ließe: Der Status quo müsse „gnadenlos hinterfragt“ werden, die Firmenleitung müsse „freies Denken fördern“. Dabei könne und solle auch auf unkonventionelles Wissen zurückgegriffen werden, „die Superpower ohne Qualitätsstempel der Bildungsmaschinerie“, wie beispielsweise Wissen aus YouTube-Videos oder von Instagram-Accounts. Die intrinsische Motivation der Mitarbeitenden sei der „angeborene Vorsprung bei der Aufgabenverteilung“, die es zu nutzen gelte. „Offene Stellen können intern besetzt werden, statt neue Leute einzustellen“, so Lührmann: „Die Rezeptionistin kann auch Social Media, der Sales-Innendienst kann auch Messe oder die Buchhalterin coacht in Resilienz“, nennt sie Beispiele aus ihrer Beratungspraxis. Oder den Maschinenbediener, der ein „Verschwendungsleck“ entdeckt hat und so dem Unternehmen 30.000 Euro Ersparnis bringt. Pro Tag. Als Beispiel für das „Führungspotenzial aus der Mitte der Hierarchie“ führte sie die Geschäftsführungsassistentin an, die in die erste Führungsriege des Unternehmens aufgestiegen sei und als potenzielle Geschäftsführerin gehandelt werde. „Den einen richtigen Zukunftsweg für alle gibt es nicht. Jeder Weg muss zum Unternehmen passen.“
VOM HIDDEN- ZUM OPEN CHAMPION
Wie so ein Weg aussehen kann, zeigte Kerstin Hochmüller von Marantec aus Marienfeld auf. Der Spezialist für Torantriebe und Parksysteme mit 600 Mitarbeitenden habe sich auf den Weg zum „Open Champion statt Hidden Champion 2.0“ gemacht. Seit 2013 laufe der Change-Prozess im Unternehmen, am „Open Champion“ würden sie seit vier Jahren arbeiten. „Wir werden als Mittelstand disrupiert“, beschrieb Hochmüller die Ausgangssituation, durch Wettbewerb, Megatrends, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Die bisherigen Antworten wie „100 Prozent Technikfokus“ oder „lineares Wirtschaften“ seien keine Lösungen mehr. „Wie lange geht alles gut, wenn wir so weitermachen wie bisher? Was bleibt übrig, wenn wir unser Geschäftsmodell stressen lassen?“, waren die Fragen, die aus Marantec-Sicht zur Antwort führten: „Wir brauchen einen Neustart.“ Als Open Champion würden sie „Best of Hidden Champion“, „Co-Creation“, „Open Innovation“ und „Leadership“ vereinen. Das interne Denken sei geprägt durch ein positives Menschenbild, einem Umgang auf Augenhöhe – „klassische Hierarchien in Frage stellen, Rollen statt Positionen definieren“ – oder „Nichts muss bleiben, wie es ist“. Dies führe unter anderem dazu, dass sie Start-up- und Wettbewerbskooperationen eingingen und sich dem „Cradle-to-Cradle“-Kreislaufmodell verpflichtet fühlen. „Eine Vision ist wichtiger als eine Strategie“, verblüffte Hochmüller die Zuhörerinnen und Zuhörer, und ergänzte: „Wir wollen der coolste Antriebshersteller der Welt werden. Als ‚Open Champion‘ sind wir Leuchtturm und Initiator für neues Wirtschaften.“
START-UP-GRÜNDUNG FÜR NEUES PRODUKT
Was es bedeutet, für eine Produktneuheit ein Start-up zu gründen, beschrieb Volker Willich in seinem Vortrag „Innovation in ein(em) start-up“ über die Wax Solutions GmbH. Gegründet 2023, als rechtlich eigenständige Ausgründung des Versmolder Wurstindustrie-Zulieferers Alfred Willich Produktions GmbH, hat sich Willich mit seinem Team das Ziel gesetzt, erdölbasierte Kunststoffe in Papierbeschichtungen durch nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen. Gemeinsam wurde mit der Papierindustrie ein solches Produkt entwickelt. Zum Einsatz könne es in Einschlagpapieren an der Bedienungstheke über Backpulvertüten bis zu Versandkartons kommen. Für das neue Produkt wurden parallel zum bestehenden Unternehmen eine eigene Struktur für recyclierbare Verpackungen aufgebaut. Dazu zählen unter anderem ein eigenes Kompetenzzentrum sowie eine eigene Analytik. Unterstützt werde das Projekt „BaWaFlex: Erprobung einer siegelfähigen, flexiblen Barrierebeschichtung auf Basis natürlicher Wachse und Harze für Lebensmittelverpackungen“ durch das Förderprogramm „Grüne Gründungen.NRW“ des NRW-Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Verkehr. Von der Europäischen Union werde es als Teil des EFRE/JTF-Programms Nordrhein-Westfalen 2021-2027 kofinanziert. Genutzt werden sollen die Fördergelder unter anderem dafür, um eine Pilotanlage zur Produktion der Beschichtungen aufzubauen. In seinem Vortrag betonte Willich insbesondere die Unterstützung, die sie mit ihrem Start-up von Hochschulen aus der Region, Wirtschaftsförderern und Netzwerken erhalten hätten. „Vertrauen und Respekt“ seinen zwei Erfolgsfaktoren für Wandel, so Willich. Er appellierte an die OWiKON-Teilnehmenden, die zahlreichen, auch regionalen Beratungs- und Förderangebote in Anspruch zu nehmen, um Innovationen voranzutreiben.
NETZWERKKULTUR FÖRDERT INNOVATIONEN
Ein Plädoyer für die „Macht der kleinen Schritte – einfach machen“ hielt Hans-Rüdiger Munzke von der „IdeenNetzWerk GbR“. In seinem Vortrag „Netzwerkkultur für Innovation“ unterstrich Munzke, dass „Netzwerkarbeit belebend und befruchtend für Innovationen“ sei. „Die Führung eines Netzwerks ist vergleichbar mit der Führung eines Segelschiffs. Wir brauchen ein klares Ziel mit gut überlegtem Kurs, meistern täglich neue Situationen, lösen auch alltägliche Probleme, müssen Untiefen umschiffen, unterschiedlichen Winden und Strömungen trotzen, brauchen eine gute und motivierte Crew, auf die wir uns verlassen können und auf sich Netzwerkpartner verlassen können.“ Netzwerkkultur könne dabei Innovation auf verschiedene Weise fördern: durch Wissensaustausch und Zusammenarbeit, durch kollektive Intelligenz, durch Ressourcennutzung, offene Kommunikation, strategische Partnerschaften sowie durch Unterstützung durch Führungskräfte. „Wertschätzung schafft Wertschöpfung“, so Munzke.
Am Beispiel des „Weiterbildungsverbund ZUKUNFTmobil“, der die Transformation in der Fahrzeugindustrie begleitet, machte Munzke deutlich, wie dies gelingen könne: „Verbesserungen und Innovationen gelingen, indem beteiligungsorientierte Verbesserungs- und Innovationsprozesse und die Wettbewerbsfähigkeit durch Kompetenzentwicklung gefördert werden.“ Zum Kompetenzaufbau zählen für ihn die Schritte von der Beharrungskompetenz über die Veränderungskompetenz, die Entwicklungskompetenz bis hin zur Innovationskompetenz. Die Frage, warum Changemanagement so oft scheitert, beantwortete Munzke mit einem bekannten Vergleich: „Wir verhalten uns wie die drei Affen.“ Also nichts hören, sehen, sagen.
„INNOVIEREN SIE“
Um „Erfolgsmuster im Innovationsmanagement“ ging es im gleichnamigen Vortrag von Dr. Anna Gehring von der UNITY AG aus Büren, die sich als Managementberatung für Innovation und Transformation versteht. Die momentane Ausgangslage im Wirtschaftsleben beschrieb sie, ähnlich wie die anderen Referentinnen und Referenten, mit dem „BANI“-Modell: brittle (brüchig), anxious (ängstlich), non-linear (nichtlinear), incomprehensible (unverständlich). In der Folge bedeute dies, dass sich Geschäftsmodelle rasant verändern, Entscheidungen von Angst, Stress und Sorge beeinflusst und Vorhersagen sehr schwierig werden sowie Überforderung oder Verwirrung Entscheidungsstrukturen verlangsamen.
Als Reaktion darauf forderte sie die Zuhörerinnen und Zuhörer auf: „Denken Sie in Szenarien.“ Wie könnte die Zukunft aussehen und welche Auswirkungen haben diese unterschiedlichen „Welten“ auf das eigene Unternehmen, lautete der Tipp. Das zweite Erfolgsmuster umschrieb Gehring mit „Denken Sie mit Fokus“: „Setzen Sie einen Fokus, sonst zerstört Komplexität die Aussicht auf Erfolg.“ Tipp Nummer drei: „Denken Sie in use cases.“ Dabei sei es erforderlich, dass alle Komponenten der „3 + 1“-Regel erfüllt würden. Am Beispiel eines Digitalisierungsvorhabens bedeute dies die Beherrschung der Technologie, die Klarheit über die Anwendung und den Service im Geschäftskontext. Die Kombination der Technologie mit der Anwendung müsse einen klaren Benefit haben. Damit der Use Case erfolgreich sei, werde zudem ein Kunde benötigt, der einen Nutzen aus dem digitalen Service ziehe, heißt es dazu auf der UNITY-Homepage.
Ein weiterer Erfolgsfaktor sei das „Denken Sie aus Kundensicht“. Übersetzt: „Verstehen Sie die Anforderungen Ihrer Kunden und matchen Sie diese mit Ihren assets.“ Voraussetzung für kundenorientierte Innovation sei die Kenntnis über Kernaktivitäten und Bedürfnisse des Kunden.
Als fünften Punkt nannte Gehring „Keine Angst vor Digitalisierung!“. Ihr Credo: „Wenn Sie nicht die Zukunft gestalten, machen es andere. Innovieren Sie.“
Heiko Stoll