Titelthema
„Herausforderungen des Klimawandels aktiv begegnen“
INTERVIEW Prof. Dr. Eva Schwenzfeier-Hellkamp forscht und lehrt zur Circular Economy. Sie plädiert dafür, Produkte neu zu denken, sie modular und reparierbar zu gestalten. Viele ostwestfälische Unternehmen sind ihrer Meinung nach bereits Vorbilder.
Frau Professorin Schwenzfeier-Hellkamp, der Wirtschaftsstandort Deutschland steht vor großen Herausforderungen: Die Konjunkturindizes sind schlecht, die Energiepreise hoch, alle warten auf die neue Bundesregierung. Warum ist das Thema Circular Economy dennoch relevant?
Ja, es gibt aktuell eine enorme Bandbreite an Herausforderungen für Unternehmen. Nichtsdestotrotz ist es gerade jetzt von Bedeutung, die richtigen Prioritäten für zukunftsfähige Produkte und Geschäftsmodelle zu setzen. Die Circular Economy stellt dabei eine wesentliche Säule für Unternehmen dar, um den Herausforderungen des Klimawandels aktiv zu begegnen.
Ich kann Unternehmen nur raten, ihre Zeit sinnvoll zu nutzen und das eigene bisherige Handeln kritisch zu reflektieren. Wichtig ist es jetzt zu agieren – und nicht zu warten und nur zu reagieren. In OWL gibt es einen großen Anteil produzierender Unternehmen, das heißt in unserer Region findet viel Wertschöpfung statt: von der ersten Idee über die Entwicklung bis hin zur Herstellung von Produkten. Aus meiner Sicht ist das eine wichtige Voraussetzung, um in das Thema Circular Economy zu starten oder falls bereits gestartet, nicht innezuhalten, sondern den Weg weiter zu beschreiten.
Die Circular Economy setzt auf radikale Abfallvermeidung. Eignet sich solch ein Ansatz für alle Branchen oder gibt es welche, bei denen es nicht funktioniert, beispielsweise bei Herstellern von Medizinprodukten?
Die Circular Economy eignet sich für sehr viele Branchen, um die Wertstoffe ihrer Produkte in Kreisläufen zu halten. Allen voran die Baubranche, die Lebensmittelindustrie, der Maschinen- und Anlagenbau sowie die Elektronikbranche. Und ja, es stimmt: Im Bereich der Medizinprodukte steht die Einführung der Circular Economy teilweise vor größeren Herausforderungen. Aber es gibt auch für diese Branche Lösungen: Seit langer Zeit existiert beispielsweise das Refurbishment bei bildgebenden Systemen, wie beispielsweise MRTs. Hier ist es eine bereits erfolgreich praktizierte Praxis, die Instrumente nach einer gewissen Zeit aus dem Einsatz zu holen, aufzuarbeiten und gemäß dem aktuellen Stand der Technik wieder in den Markt zu bringen. Hier sollten die guten, bereits vorhandenen Beispiele herangezogen werden, um die Produkte zu selektieren, mit denen auch in der Medizintechnik weitere Erfolge illustrierbar werden. Für den Fall, dass Bauteile nicht wieder im Medizinprodukt eingesetzt werden können, sollte branchenübergreifend gedacht werden: Diese Teile können eventuell in anderen, weniger kritischen Branchen eingesetzt werden. Dafür ist es natürlich wichtig, dass die Produkte modular aufgebaut sind. Und das gilt nicht nur für die Medizinbranche: Es ist grundsätzlich ein wichtiger Baustein der Circular Economy, dass wir Produkte so konstruieren, dass sie möglichst aus einzelnen wiederverwertbaren, reparierbaren oder austauschbaren Elementen bestehen. Bei den vielen Einwegprodukten in der Medizin sollte jetzt nochmal kritisch bewertet werden, in welchen Bereichen vielleicht auch Mehrwegprodukte zum Einsatz kommen könnten.
Wenn sich Unternehmerinnen und Unternehmer für Circular Economy interessieren – womit sollten sie beginnen?
Es mag banal klingen, aber das Wichtigste ist es, den ersten Schritt zu gehen. Der Weg zu einer übergreifenden Circular Economy ist lang und besteht aus vielen kleinen Etappen – man muss nur starten. Das geht zum Beispiel, indem Unternehmen an einer der zahlreichen Veranstaltungen in OWL zum Thema Circular Economy teilnehmen, zum Beispiel von „CirQualityOWL plus“, VDI OWL oder dem Transferprojekt „Innovation Campus for Sustainable Solutions“ von der Hochschule Bielefeld und Universität Bielefeld. So können Unternehmen in einen ersten Erfahrungsaustausch gehen und sich mit denjenigen vernetzen, die sich bereits auf den Weg der Circular Economy gemacht haben. Dabei beschäftigt man sich oft mit den R-Prinzipien wie Re-use, Re-furbish und Re-manufacture. Wichtig ist: Es geht nicht nur darum, Bestandsprodukte zu recyceln. Sondern vielmehr darum, Produkte neu zu denken, modular und reparierbar zu gestalten und vieles mehr. Durch den Austausch im Netzwerk entstehen oft erste Ideen, die kurzfristig und niedrigschwellig umgesetzt werden können und zu ersten sichtbaren Erfolgen führen. Das motiviert im besten Fall dann das ganze Unternehmen. Klar ist aber auch: Eine Circular Economy entsteht nicht ausschließlich im eigenen Unternehmen – viele Veränderungen können wir nur gemeinsam bewältigen, indem wir die gesamte Wertschöpfungskette in den Blick nehmen. Dazu ist es sinnvoll, wenn Unternehmen mit anderen Unternehmen, Hochschulen, Konsumentinnen und Konsumenten in Kontakt treten.
Gibt es Erkenntnisse, wie Kunden auf Circular Economy-Angebote reagieren, wie sie sie aufnehmen?
Dazu gibt es Erkenntnisse aus unserem interdisziplinären Transferprojekt, dem „Innovation Campus for Sustainable Solutions“: Laut Wirtschaftspsychologin Eliza Starke zeigen Studien, dass die Reaktion der Kundinnen und Kunden auf Angebote der Circular Economy stark davon abhängt, wie diese kommuniziert werden. Eine zentrale Herausforderung für das Marketing besteht darin, nachhaltige Initiativen so zu bewerben, dass sie verständlich und greifbar sind. Rahmenwerke der Psychologie zeigen, dass die Aufklärung der Konsumentinnen und Konsumenten ein entscheidender Ausgangspunkt für nachhaltige Kaufentscheidungen ist. Nur informierte Verbraucherinnen und Verbraucher können fundierte Entscheidungen treffen, die die Circular Economy unterstützen. Grüne Werbung wird jedoch oft als abstrakt wahrgenommen – vage, schwer verständlich oder zu stark auf langfristige Ergebnisse fokussiert. Hier gilt es als hilfreich, möglichst viele Informationen über Circular Economy und ihre Vorteile darzustellen. Derzeit existieren jedoch noch erhebliche Forschungslücken dazu, wie sich das Konzept der Circular Economy konkret auf das Kaufverhalten auswirkt.
Wie sieht die Circular Economy-Welt Ihrer Meinung nach in fünf Jahren aus?
Um mal im „Heute“ anzufangen: Die Region OWL gilt bereits jetzt als vorbildlich im Bereich Circular Economy, weil es viele praktische Umsetzungen gibt. Das zeigt zum Beispiel das Forschungsprojekt „CirQuality OWL“. Und mein optimistischer Blick in die Zukunft: In fünf Jahren hat die Region OWL ihre Vorreiterposition weiter ausgebaut und noch mehr Unternehmen haben erste neue Circular-Economy-Produkte auf den Markt gebracht. Es existiert ein fundiertes Weiterbildungsangebot im Bereich der Circular Economy. Und: In fünf Jahren wird der Transfer an den Hochschulen so aufgebaut sein, dass wir die Unternehmen im Veränderungsprozess praktisch unterstützen können. Auf Bundesebene gibt es beispielsweise jetzt schon eine intensive Diskussion über monetäre Anreizsysteme, zum Beispiel über eine geringere Mehrwertsteuer für zirkulär gestaltete Produkte oder ein System ähnlich der EEG-Vergütung aus dem Bereich der erneuerbaren Energien. Vielleicht ist dies in fünf Jahren schon Realität. Aus meiner Sicht stellt dies ein gutes Anreizsystem für Kundinnen und Kunden dar und kann zu einer kontinuierlichen Anpassung des Kaufverhaltens hin zu Circular-Economy-Produkten hinführen. Außerdem haben wir in der Circular-Economy-Welt der Zukunft hoffentlich konkrete Normen mit expliziten Vorgaben für spezielle Produktgruppen.
Heiko Stoll