Ostwestfälische Wirtschaft

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Wegwerfen adé

Wie zirkuläres statt lineares Wirtschaften im Unternehmensalltag umgesetzt werden kann, zeigen drei Beispiele aus Ostwestfalen: ZF, Bio-Circle und Schüco

Ihr Arbeitsleben hat Spuren hinterlassen: rostrot gesprenkelt, blau verfärbt oder komplett schwarz – Lkw-Kupplungen. „Das sind die ‚Leistungstiere‘, die 40 Tonnen-Lkw bewegen“, sagt Jörg Witthöft und beugt sich über eine Gitterbox mit Kupplungsdruckplatten. Zwischen 300.000 und 500.000 Kilometer wurden die Lkw bewegt, etwa zwei bis drei Jahre, bevor Witthöft und sein Team die ausgebauten Kupplungen im Bielefelder Werk der ZF Friedrichshafen AG zu Gesicht bekommen. Bis zu 50 Tonnen an Altteilen werden pro Tag angeliefert, von allen Herstellern der Branche, sei es Volvo, Scania, MAN, DAF, Daimler oder Iveco. „Wir sind eine Spezialität innerhalb der ZF AG. Wir setzen komplett auf Aufarbeitung“, sagt Witthöft, der seit 2009 den Standort in Bielefeld-Brackwede leitet. Die 210 Mitarbeitenden erwirtschaften einen Jahresumsatz von rund 45 Millionen Euro. Und der Arbeitseinsatz lohnt sich, wie sich am bereits zum zweiten Mal gewonnenen Deutschen Nachhaltigkeitspreis zeigt. Je nach Kupplungskomponente werden bis zu 98 Prozent der Teile wiederverwendet. Lediglich die Nieten, mit denen die Komponenten zum Schluss wieder zusammengehalten werden, sind in jedem Fall neu. „Durch uns werden sie auf den neusten Stand der Technik gebracht, wir geben ihnen ein ‚Kupplungsleben‘ mehr.“ Wenn Witthöft die Funktionsweise der Circular Economy erklärt, nutzt er den Vergleich mit dem Flaschenpfand-System: „Sie bezahlen den Inhalt und nicht die Verpackung.“ Die aufgearbeiteten Komponenten seien im Vergleich zum Neuprodukt rund 20 Prozent günstiger.

QUALITÄTSCHECK MIT KI

Witthöft, Maschinenbau- und Wirtschaftsingenieur, setzt dabei auf „so viel Automatisierung wie nötig und sinnvoll sowie Digitalisierung dort, wo möglich“. Viele Arbeitsschritte würden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schneller und präziser erledigen. So beispielsweise beim Sortieren. Innerhalb von Sekunden erkennen die Beschäftigten, welches verschlissene Kupplungsmodell sie vor sich haben und legen es in entsprechende Boxen.

Beim Rundgang fällt auf, wie viel Handarbeit trotz Maschineneinsatz noch anfällt. „Wenn Sie eine Fertigungsstraße haben, sieht das auf Bildern immer toll aus. Aber wenn an einer Maschine ein Fehler auftritt, steht sie komplett“, sagt Witthöft mit einem Augenzwinkern. Hinzu käme, dass Fertigungsstraßen auf hohe Stückzahlen ausgelegt seien, auch, um Rüst- und Einrichtungskosten zu minimieren. Hier aber würden die Auftragsvolumen in der Regel aus fünf bis 50 komplett aufgearbeiteten Kupplungen bestehen. „Dafür lohnt es sich nicht.“

Stattdessen komme Künstliche Intelligenz beim Qualitätscheck zum Einsatz. Ende vergangenen Jahres wurde ein System von CircoVision aus Paderborn in Betrieb genommen, unterstützt von der Hochschule Bielefeld. Mit der neuen Technik werden Torsionsfedern, eine Komponente der Kupplungen, überprüft. Die Anwendung entscheidet, ob die Gebrauchsspuren an den Federn einen erneuten Einbau zulassen oder ob sie aussortiert werden müssen. Bislang sei die Arbeit von geschultem Personal ausgeführt worden. Ihr Wissen sei in die Programmierung eingeflossen, auch für die Bedienung der Maschine seien die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unverzichtbar. „Dadurch haben wir die manuelle Arbeit aufgewertet“, sagt Witthöft.

Seit 1963, der Übernahme des Standortes in Bielefeld, werden bei ZF Kupplungen aufgearbeitet. „Damals herrschte Materialknappheit.“ Obwohl die Grundtätigkeit also seit etlichen Jahrzehnten gleichgeblieben sei, sei der heutige „Cradle to Cradle“-Ansatz noch umfassender. Witthöft nennt zusätzlich zur „Kreislauffähigkeit der Materialien“ noch den Einsatz von 100 Prozent Grünstrom „seit 2017“, „sauberes Wasser“, „soziale Fairness“ und die Verwendung von „ungiftigen Materialien“.

Als einen Antrieb, auf zirkuläres anstatt auf lineares Wirtschaften zu setzen, nennt Witthöft die Tatsache, dass durch „Wegwerfen“ Gegenstände vernichtet werden, für die „einst Geld ausgegeben wurde“. Auch privat investiere der zweifache Familienvater deshalb „lieber in Qualitätsprodukte, die sich reparieren lassen“.

Einen großen Vorteil der Circular Economy sieht Witthöft deshalb im Erhalt des eingesetzten Materials: „Wenn ich mein Rohmaterial zurückbekomme, werde ich als Produzent autark.“

GESCHLOSSENE REINIGUNGSKREISLÄUFE

„MAKING GREEN WORK“ lautet die Firmenphilosophie des vor 40 Jahren in Gütersloh gegründeten Unternehmens Bio-Circle Surface Technology GmbH. Zum Portfolio gehören aktuell Reinigungsprodukte für Industrie und Handwerk. Seit einem Vierteljahrhundert zählen außerdem manuelle und automatische Reinigungssysteme zum Angebot, die auf einen geschlossenen Reinigungsmittel-Kreislauf setzen. Verwendung finden diese beispielsweise zur Pinselreinigung oder beim Entfernen von Farb- und Lackresten.

„Unser erstes angebotenes zirkuläres System war eine Kombination aus einer Heißwasserteilewaschmaschine und einem Plattenphasentrenner, die wir weit vor dem Jahr 2000 im Programm hatten“, erinnert sich Dr. Lukas Eickhoff aus der Bio-Circle-Produktentwicklung. Dabei würden die Reiniger im Kreislauf genutzt, im Plattenphasentrenner werde eingewaschenes Öl abgetrennt. „Unser erstes wirklich selbst entwickeltes Produkt war unser BIO-CIRCLE-Waschtisch im Jahr 2000. Ausschlaggebend war damals eher der Aspekt, Gefahrstoffe in der Industrie zu reduzieren. Einerseits wollten wir den Arbeitsschutz verbessern und andererseits gleichzeitig die Emissionen von flüchtigen organischen Verbindungen reduzieren, die beispielsweise beim Einsatz von Lösemitteln entstehen.“

Bei dem genannten Waschtisch werde der Reiniger im Kreislaufsystem „aufgereinigt und damit lange genutzt“, beschreibt Eickhoff, der in physikalischer Chemie promoviert hat, das Prinzip. Auch weitere Komponenten wie die Kontrollbox erfüllten die Anforderungen zirkulären Wirtschaftens: „Sie ist modular aufgebaut, sodass wir sie reparieren und weiternutzen können.“ Im Programm darüber hinaus sind ein System zur kreislauffähigen Reinigung von Lackierpistolen oder wiederbefüllbare Aerosoldosen. Hochqualitative Handsprühflaschen für Reiniger aus recyceltem PET wiesen eine lange Lebensdauer auf, ließen sich durch Nachfüllen über Kanister mehrmals verwenden. Ein Service-Angebot für Reinigungsgeräte, um die Nutzungsdauer der Geräte und der Reiniger zu verlängern, werde ebenso angeboten wie die Schulung der Mitarbeitenden beim Kunden: „Damit stellen wir sicher, dass die Kreislaufsysteme effektiv und effizient genutzt und Überdosierung vermieden werden.“

KUNDEN MUSSTEN VON VERFAHREN ÜBERZEUGT WERDEN

Dabei stand zirkuläres Wirtschaften bei der Unternehmensgründung nicht im Fokus. „Geändert wurde im Unternehmen oder an den Produkten nichts, da Bio-Circle seit der Gründung für nachhaltige Produkte steht. Daher hat sich die Entwicklung dieser Produkte eher automatisch ergeben, als dass explizit auf Zirkularität hingearbeitet wurde. Zu der Zeit, als die Produkte entwickelt wurden, hat im Unternehmen auch noch niemand von Circular Economy gesprochen. Vielmehr wurden die Produkte entwickelt, da wir es damals für richtig hielten, Reiniger im Kreislauf zu führen. Somit wurden Ressourcen eingespart sowie Abfälle und Gefahrstoffe reduziert“, blickt Eickhoff zurück.

Mehr Aufwand musste das Unternehmen an anderer Stelle leisten: „Viele Kunden müssen zunächst davon überzeugt werden, dass wasserbasierte, nachhaltige Reiniger nicht schwächer sind als herkömmliche Lösemittel. Auch, dass sich die Mehrkosten für die Anschaffung über die lange Nutzungsdauer der Produkte mehr als amortisieren, musste zunächst vermittelt werden. Kunden schätzen unsere Kreislaufsysteme, da weniger Ressourcen eingesetzt werden müssen, weniger Abfall entsorgt werden muss und sich die Nutzung positiv auf die Umweltbilanz, Stichwort CSRD-Reporting, auswirkt.“

Deshalb rät Produktentwickler Eickhoff auch anderen Unternehmen dazu, sich mit dem Thema Circular Economy zu beschäftigen: „Viele Barrieren vor dem Beginn einer Umsetzung zirkulärer Projekte befinden sich eher in den Köpfen als in der praktischen Realität. Es müssen nicht sofort die großen Ideen sein. Häufig lohnt sich auch ein Blick in die Abfalltonne.“ Orientierungshilfe bieten beispielsweise Antworten auf die Fragen, bei welchen Prozessen viel Abfall anfällt und ob die Möglichkeit bestehet, diese Mengen zu reduzieren. „Gleiches gilt für die Abfallbilanz der eigenen Produkte beim Kunden. An welcher Stelle produziert mein verkauftes Produkt Abfälle? Kann ich dies minimieren, gänzlich verhindern oder die entstehenden Abfälle sinnvoll weiternutzen? Wenn die erste Idee für ein zirkuläres Projekt steht, ist der größte Schritt bereits getan.“

Denn beim Blick in die Zukunft ist sich Eickhoff sicher: „Langfristig wird Circular Economy der Standard sein, da Rohstoffkosten, Entsorgungskosten und auch CO2-Abgaben weiter steigen werden. Unter diesen Aspekten werden Prozesse und Produkte, die nicht auf Zirkularität ausgelegt sind, in den kommenden Jahren automatisch unwirtschaftlich werden. Da eine Umstellung auf Zirkularität ein längerer Prozess ist, sollten Unternehmen nicht mehr warten und sofort mit dem Einsatz beziehungsweise der Einführung zirkulärer Produkte beginnen, um zukunftsfähig zu bleiben.“

NACHHALTIGE GEBÄUDE

Als „Sorgenkinder im Klimaschutz“ bezeichnet der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) die Sektoren Gebäude und Verkehr in seiner Stellungnahme „Zirkulär, klimagerecht, begrünt, bezahlbar und qualitätsvoll: Nachhaltige Wege in der Stadtentwicklungs-, Bau und Verkehrspolitik“ aus dem Jahr 2023. Angemahnt wird, dass beide Bereiche „bisher regelmäßig die CO2-Minderungsziele des Klimaschutzgesetzes“ reißen. Der RNE empfiehlt der Bundesregierung deshalb unter anderem, „zirkulärem Bauen zum Durchbruch zu verhelfen“.

Ein Unternehmen, dass sich bereits seit Anfang des Jahrtausends mit dem Thema nachhaltige Gebäude beschäftigt und sich auf den Circular-Economy-Weg gemacht hat, ist die in Bielefeld ansässige Schüco International KG. „Nachhaltigkeit ist eines der Top-Themen in der Bauwirtschaft und wir registrieren eine steigende Nachfrage nach zirkulären Baustoffen“, sagt Dr. Roman Kordtomeikel, Head of Group Sustainability des Fenster-, Türen- und Fassadenspezialisten. „Als Gründungsmitglied der Aluminium-Recycling-Initiative ‚AUF‘ oder als Gesellschafter bei ‚Rewindo‘, der Recycling-Initiative der deutschen Kunststoffprofilhersteller, sorgen wir seit Jahren für ein verantwortungsbewusstes Recycling ausgedienter Fenster, Türen und Fassaden. Viele unserer Kunststoff-Systeme tragen zudem das VinylPlus-Siegel und im Aluminium-Bereich sind zahlreiche Systeme Cradle-to-Cradle-zertifiziert.“

Mit dem gemeinsam mit dem Entsorgungsunternehmen Remondis gegründeten Joint-Venture „RE:CORE“ biete Schüco einen Rücknahme- und Recyclingservice für ausgediente Bauelemente an. „Damit können wir bereits heute einen geschlossenen Materialkreislauf abbilden. Um auch unseren Kunden den bestmöglichen Zugang zu nachhaltigen Gebäudehüllen zu geben, betrachten wir die Gebäudehülle immer über ihren gesamten Lebenszyklus, von der Planung, dem Bau, über den Betrieb bis zum Rückbau“, erläutert Kordtomeikel, der an der RWTH Aachen im Bereich Materialwissenschaft und Werkstofftechnik promoviert hat. „Uns treibt der ständige Anspruch an, als eines der führenden Unternehmen der Bauindustrie, Vorreiter für ganzheitliche Nachhaltigkeit zu sein und einen aktiven Beitrag zur Verwirklichung von Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft im Bauwesen zu leisten.“

In der Praxis zeige sich dies daran, dass 75 Schüco-Systeme bereits mit dem Cradle-to-Cradle-Zertifikat ausgezeichnet seien. Viele Kunststoff-Produkte würden das VinylPlus-Siegel des gleichnamigen Netzwerkes tragen. „Unserem Nachhaltigkeitsanspruch folgend, soll das Portfolio stetig erweitert werden, weshalb Zirkularität auch ein wichtiges Kriterium bei Neuentwicklungen ist“, unterstreicht Kordtomeikel.

ZIEL BIS 2040: „EMISSION ZERO“

„Als Unternehmen verfolgen wir mit dem Fokusprojekt ‚Emission-Zero‘ das Ziel, bis 2040 Net-Zero in Bezug auf die CO2-Emissionen zu erreichen. Dafür haben wir unser Aluminium-Portfolio bereits erweitert und stellen immer mehr Materialien auf unsere Materialgüten Low und Ultra Low Carbon mit erhöhtem Recyclinganteil um.“ Ein Angebot, das laut Kordtomeikel von den Kunden sehr positiv aufgenommen werde.

Deshalb fällt seine Empfehlung an andere Unternehmen, in Cradle-to-Cradle-Prozesse einzusteigen, sehr deutlich aus: „Kreislaufwirtschaft lohnt sich! Die Nachfrage nach kreislauffähigen Produkten wächst und mit ihnen der Wunsch nach Rezyklaten. Immer mehr Fördergelder werden zudem an Nachhaltigkeitskriterien gebunden und auch das Kundenbewusstsein für nachhaltige Produkte steigt seit Jahren. Der Umstieg mag zunächst zwar mit Aufwand verbunden sein, wer sich nicht auf die Circular Economy einstellt, wird früher oder später jedoch ganz sicher das Nachsehen haben.“

Für die nähere Zukunft rechnet der Nachhaltigkeitsexperte deshalb weiterhin mit einem Boom des Themas: „Wir wissen, dass die ambitionierten Nachhaltigkeitsziele der Europäischen Union zu einem Umdenken geführt haben. Nicht nur in der Bauindustrie, aber ganz besonders dort.“ Um den CO2-Wert von Gebäuden schon im Bauprozess zu reduzieren, rücke das Thema Recycling immer stärker in den Fokus. Schon heute übersteige die Nachfrage nach Recyclingmaterialien an manchen Stellen das Angebot. Um dem entgegenzuwirken, sei es umso wichtiger, die Wiederverwertung von Materialien schon in der Entwicklung neuer Produkte mitzudenken. „Das Thema Circular Economy wird damit auch in den kommenden Jahren noch mehr an Bedeutung gewinnen. Denn letztendlich liegt die Verwendung zirkulärer Produkte im Interesse von Kunden und Herstellern gleichermaßen.“

Heiko Stoll

     

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