Im Porträt
Die Modernisiererin
Anita Kuhlmann ist ein Unternehmerkind – schon in jungen Jahren hat sie im Geschäft ihres Vaters mitgeholfen und sich viel Wissen angeeignet; über Düngemittel,Saatgut und Tierfutter. Inzwischen hat die gebürtige Herforderin den ehemaligenLandhandel Kunert & Rekersbrink komplett umgewandelt – dieser ist zu „Kuhlmann’s Grüner Hof“ geworden. Mit ihrem Geschäft hat die 33-Jährige ihren Lebens-traum verwirklicht. Hat es geschafft, den Spagat zwischen klassischem Landhandel und modernen Lifestyle-Produkten hinzubekommen. Bis die Gründerin in dieSelbstständigkeit starten konnte, musste sie so manchen Stein aus dem Weg räumen. In dem neu gebauten Ladengeschäft an der Bünder Straße 49 bietet Kuhlmann nun seit Herbst 2023 auf 150 Quadratmetern ein breites Sortiment an: In ihrem Fachmarkt hat sie sich auf Lösungen für Garten und Hof – von Ungezieferbekämpfung bis hin zu natürlichen Lifestyle-Produkten – aus der Grünen Branche spezialisiert. Fundierte Ernährungsberatung und Expertise rund um die Tiergesundheit bei Hund und Katze runden das Angebot ab.
FORTBESTAND FRAGLICH
Die Ursprünge des Landhandels reichen über 100 Jahre zurück: „Mein Opa hat Kunert & Rekersbrink von dem ursprünglichen Gründer übernommen, danach haben meine Eltern seine Nachfolge angetreten. Früher wurden hier Düngemittel, Gartengeräte, Pestizide und Viehfutter verkauft“, erzählt die Unternehmerin. Inzwischen gebe es aber nicht mehr so viele Selbstversorger wie früher: „Mir war schnell klar, dass das Sortiment auf Dauer nicht zukunftsfähig ist“, beschreibt sie die Marktsituation. Was sich liest wie eine klassische Unternehmensübergabe, hat jedoch mit einem persönlichen Schicksalsschlag zu tun. „Mein Vater Gerhard ist 2013 plötzlich verstorben, da war ich 22 Jahre jung und noch mitten in meinem Jura-Studium. Da wir als Familie von dem Landhandel gelebt haben, hat meine Mutter diesen zunächst übernommen. Ich selbst war schnell und tief involviert in den Fortbestand, wollte aber nicht in das Geschäft einsteigen“, erinnert sich Kuhlmann an diese schwere Zeit.
VÖLLIG NEUES KONZEPT
„Während meiner Tätigkeit im Landhandel habe ich gemerkt, dass es mir Freude macht, Menschen ad hoc zu helfen. Mir liegt die praktische Arbeit mehr als theoretischer Stoff, da ich ein visueller und kreativer Typ bin.“ Dass ihr Herz nicht für die Juristerei schlägt, habe sie früh gemerkt, gibt Kuhlmann offen zu. In dieser Phase erkannte die Besitzerin von Yorkshire-Terrier Arno den wachsenden Bedarf an fachkundiger Beratung zur Tiergesundheit — was sie dazu bewegte, sich zur ganzheitlichen Ernährungsberaterin für natürliche Tiergesundheit ausbilden zu lassen. Auch eine Sachkundeprüfung für Pflanzenschutz hat Kuhlmann abgelegt. Langsam reifte in der jungen Frau der Entschluss, den Landhandel mit einem komplett neuen Konzept fortzuführen: „Ich war schon immer ein Querkopf und bin mit meinem Vater öfter aneinander gerasselt. Mir war bewusst, dass sich die Zielgruppe ändert. Früher hatten wir eher eine ältere Kundschaft, verkauft wurden viele Pflanzenschutzmittel, die ich aus ökologischen Gründen nicht mehr anbieten wollte. Heute spreche ich mit meinem Sortiment ein sehr viel jüngeres Publikum an, von 18 bis 35 Jahren. Menschen, die — genau wie ich — Wert auf Nachhaltigkeit legen.“
PRODUKTE FÜR MENSCH, TIER
UND GARTEN
Ihr Sortiment umfasst ausgewählte Pro-dukte für Mensch, Tier und Garten. Über das Grundsortiment hinaus bietet Kuhlmann hochwertige Nahrungsergänzungsmittel, Naturkosmetik und Pflegeprodukte, gesunde Snacks und CBD-Öl an. Für Hunde und Katzen gibt es Nass- und Trockennahrung, BARF-Fleisch, natürlichen Schutz vor Zecken, Flöhen und Co. sowie kompetente Beratung bei Allergien und ernährungsbedingten Gesundheitsproblemen. Im Gartenbereich er-gänzen natürliche und nachhaltige Pflanzenpflegeprodukte, Saatgut, Dünger und Gartengeräte das Angebot. Aktuell liege, passend zum Start in die Gartensaion, insbesondere die Rasenberatung sehr im Trend.
ORT DER BEGEGNUNG
Von vorneherein sei klar gewesen, dass das alte und marode Gebäude einem Neubau weichen musste: „Die Räumlichkeiten hatten keine Dämmung, im Winter herrschten im Inneren Minusgrade. Zudem wollte ich einen Ort zum Beisammensein und zur Bildung schaffen“, verrät Kuhlmann, die ihren Kunden eine Mischung aus Dienstleistung und Verkauf anbietet. So veranstaltet sie in ihrem Laden Seminare und Events zu Themen wie Garten oder Tier und bucht bei speziellen Themen Referenten. Unterstützt wird die Gründerin dabei von ihrer Mutter, ihrem Mann und zwei Mitarbeiterinnen. Hinter dem Haus befindet sich eine Hundewiese und ein Outdoor-Bereich, wo bei gutem Wetter Veranstaltungen abgehalten werden können. „Mir ist es ein Anliegen, kranken Tieren zu helfen. Zunächst erhebe ich eine ausführliche Anamnese und entwickele daraufhin einen individuellen Plan, also eine praxisnahe Anleitung, die meinen Kunden zeigt, wie sie gezielt und alltagstauglich ins Handeln kommen“, erklärt Kuhlmann ihr Vorgehen. Zudem bietet sie eine Abholstation an, wo die Kunden rund um die Uhr — mittels Smartphone — bestellte Produkte abholen können. Zu ihrem Netzwerk zählt auch Daniela Walter,Gründerin von Fräulein Wunderblume, mit der sie eine Kooperation eingegangen ist. Die Inhaberin, die über kein eigenes Ladenlokal verfügt, vertreibt ihre Blumensträuße und Gestecke via Lieferservice und dekoriert vor Ort — und hat bei „Kuhlmann’s Grüner Hof“ einen Tisch mit Ware.
MUT FASSEN
Für potenzielle Gründerinnen hat Kuhlmann einige Tipps parat: „Ich rate allen Frauen, die in die Selbstständigkeit starten möchten, den Mut zu fassen, diesen Schritt zu wagen. Man erhält dadurch so viele Freiheiten, kann kreativ sein und sich seine Träume erfüllen. Ich persönlich finde es sehr bereichernd, wenn man seine eigenen Ideen in die Tat umsetzen kann.“ Zudem empfiehlt die Geschäftsfrau, sich während der Gründungsphase Hilfe zu holen und nicht nur auf einen Berater zu setzen: „Ich habe meinen Businessplan beispielsweise mit einem Gründungsexperten der IHK Ostwestfalen durchgesprochen, meiner Hausbank das Konzept erörtert und mir ein Netzwerk gesucht.“ Um bekannter zu werden und sich auszutauschen, nutzt Kuhlmann Social-Media-Kanäle wie Instagram oder WhatsApp, auf denen sie sehr aktiv ist.
EIGENE NISCHE FINDEN
Den Markt recherchieren, die Konkurrenz beobachten, lernwillig sein, sich einen finanziellen Puffer zurücklegen, ein Gefühl für Finanzen entwickeln und aus Rückschlägen lernen — all das sind Dinge, die Kuhlmann anderen Frauen im Vorfeld der Gründung ans Herz legen möchte. „Wichtig ist vor allem, dass du deine eigene Nische findest und deinen eigenen Stil entwickelst. Überzeuge mit deinem Fachwissen und deinem Charisma, um dich von den anderen zu unterscheiden. Denn du bist der gute Geist deiner Firma.“ Generell sei es für Frauen in Deutschland nicht einfach, zu gründen. Spätestens beim Thema Kinderwunsch seien Selbstständige benachteiligt: „Der Staat sieht bisher in diesem Fall keinen gesetzlichen Mutterschutz vor, es gibt kein Elterngeld und keine Überbrückungshilfen. Möchte man eine Familie gründen, ist man auf sich selbst gestellt“, bemängelt Kuhlmann.
ARBEITEN MIT GLÜCKSGEFÜHL
Dass ihr Laden läuft, wird spätestens ab 10.00 Uhr klar; dann wird geöffnet. Wäh-rend des Gesprächs — zu dem sie ein kleinesgesundes Frühstück mit Smoothie und Radieschen-Knäckebrot vorbereitet hat —kündigt ein Klingelton permanent neue Kunden an. Mit diesen ist Kuhlmann per Du. „In meinem Geschäft kann ich endlich so sein, wie ich bin“, fühlt sie sich angekommen. Die Gründerin weiß um die Vorurteile, die ihr in einer eher männerdominierten Branche anfangs entgegengebracht wurden. „Es gibt Kunden, die denken, man müsse in Latzhose und Gummistiefeln um die Ecke kommen, wenn man in einem Landhandel arbeitet. Das man auch im Blazer und mit lackierten Fingernägeln Expertise haben kann, mussten manche erst lernen“, erzählt Kuhlmann und lacht. Auch wenn ihr Arbeitspensum hoch sei und die Buchhaltung viel Zeit koste, empfinde sie ihre Selbstständigkeit als Fügung: „Ich bin total glücklich, selbstständig zu sein. Morgens gehe ich als Erstes mit einer Tasse Kaffee auf die Terrasse und freue mich jeden Tag darüber, dass ich meine Arbeit nicht als Arbeit empfinde, sondern als Freiheit.“
MODERNE UND TRADITION VEREINT
Welche Werte Anita Kuhlmann — trotz unter-schiedlicher Charaktere — von ihrem Vater übernommen hat: „Sicher seine Händlertugend. Auch wenn ich glaube, dass wir mit unseren Sichtweisen bezüglich des Sortiments aneinander geraten wären, bin ich mir sicher, dass er heute stolz darauf wäre, dass wir aus dem alten Geschäft einen modernen Concept Store der Grünen Branche gemacht haben.“ Geblieben ist das Efeublatt in ihrem Logo — denn das alte Lagergebäude von Kunert & Rekersbrink, das auf der Stelle stand, wo jetzt der neue Markt errichtet wurde, war damit vollständig berankt. Ein Symbol dafür, dass Moderne und Tradition sehr wohl zusammenpassen. Das wohl schönste Kompliment habe sie neulich von einer Kundin erhalten: „Die meinte, mein Geschäft sei wie ein Landhandel — nur in sexy“, freut sich die Unternehmerin über die gelungene Transformation hin zu „Kuhlmann’s Grüner Hof“.
Silke Goller